Projektseite Grosse Fischergasse

GROSSE FISCHERGASSE, SELIGENSTADT
Private Bauherrschaft

Das Leinreiterhaus in Seligenstadts Altstadt nahe dem Main gelegen ist ein kulturhistorisch bedeutender Bau, der den meisten Seligenstädtern als Gastronomiebetrieb ein Begriff ist. Erfolgreich wurde die Hofreite in den 80er Jahren als Apfelwein- und französisches Feinschmeckerlokal betrieben. Doch seit dem neuen Jahrhundert geben sich die Wirte immer schneller die Klinke in die Hand, was die Eigentümer dazu motivierte das als Kulturdenkmal geschützte Ensemble an die Tochter mit ihrer bald fünfköpfigen Familie zu übergeben und zu Wohnzwecken umnutzen zu lassen. 
Der Hof wurde letztmalig 1979 umfassend saniert und in Stand gesetzt; einer sogenannte Mustersanierung. Tatsächlich sind Mustersanierungen aus der Zeit um 80 eher kritisch zu betrachten; sowohl baukonstruktiv wie auch denkmalpflegerisch. Man hatte damals alle originalen Lehmgefacht entsorgt und das Fachwerk ordentlich umgebaut. Die Entwicklung der zimmermannsmäßigen Sanierung lag damals noch in der Wiege der Entwicklung und Forschung. Und auch die Bauindustrie versprach im Windschatten einer auf dem Mond gelandeten Generation Dinge die sie nicht halten konnte. Kurzum: Ein in den 80ern sanierter Fachwerkbau ist heute definitiv reif für eine erneute und leider oft umfassende Sanierung bei der der Focus auf der Beseitigung aller moderner Baumaterialien. Ein Fachwerkbau lebt, es bewegt sich, Holz wird nass und trocknet wieder, genauso der für den Bau so wichtige Lehm.... die Sanierungsarbeiten haben sich der Bautradition zu verpflichten... 
Das Leinreiterhaus wurde genau in dieser Tradition wieder in Stand gesetzt: dichtende Fugenmassen wurden ausgebaut, Stahlbauteile aus der Fachwerkkonstruktion ausgebaut und die Konstruktionen wieder mit zimmermannsmäßigen Holz-Holz-Verbindungen sowie Holznägeln restauriert und eine Lehminnendämmung eingebracht. Anders sind wir mit der Scheune umgesprungen: auf den ersten Blick vielleicht nicht rein denkmalpflegerisch haben wir die Geschichte der Umnutzung aus den 80er mitkonserviert. Dazu muss man wissen, dass die Scheune natürlich einmal ein großes Scheunentor hatte, dass es ein Sparrendach gab, was gegen ein Pfettendach getauscht wurde und dabei alle strukturellen Elemente einer klassischen Scheune verlor. Die Fahrt wurde zum Gastraum, Tenne und Bansen gingen verloren, genauso der Heuboden in seiner ursprünglichen Struktur. Das Scheunentor hätten wir aufgrund der Änderung der Dachkonstruktion nicht ohne intensive Umlenkung der Lasten aus dem Dach wieder herstellen können, weshalb wir uns dazu entschlossen, die Sanierung der 80er Jahre zu erhalten und diese modern zu interpretieren statt einen Rückbau anzustreben. Die beiden Scheunentorpfosten sind heute vor allem von innen wieder deutlich ablesbar. Sie öffneten die Option für eine große, erdgeschossige Verglasung in Richtung des intimen Innenhofes. Die tatsächliche Haustür des Ensembles ist an die Postion des ehemaligen Stallzugangs gerückt. Und die Öffnung in der linken Ecke zitiert den einstigen Eingang in das Lokal. Sicher nicht sehr deutlich, doch dezent wird die Fassade durch die durchlaufenden Latten der Holzverschalung akzentuiert. Die Aufteilung der Fassade ist alles andere als beliebig. 
Während das Fachwerkhaus tatsächlich sehr klassisch im Bestand erhalten wurde öffnet sich die Scheune als moderner Wohnraum der Hoffläche hin und lässt die Grenze zwischen innen und außen verschwinden. Dabei unterstützt der neu eingebrachte Sichtestrich in der großzügigen Wohnküche, welcher den Kindern erlaubt auch mal mit Rutschauto und dem Fahrrad die Küche zu besuchen. Der ehemalige Pferdestall wurde in den 80ern zum Toilettentrakt für die Gastronomie und dient der jungen Familie heute als Garderobe mit WC sowie einem Hauswirtschaftsraum. Im Dachgeschoss findet sich ein Multifunktionsraum zum Spielen, Lesen und Arbeiten. Zudem schafft der großzügige Luftraum über dem Essplatz Raum und liefert dem eigentlich ausschließlich nach Norden ausgerichtete Scheunenbau Licht und Sonnenstrahlen aus nicht einsehbaren Dachflächenfenstern bis tief in das Erdgeschoss. 
Eine Stufe zum Leinreiterhaus kündigt den Wechsel zwischen der modernen und der traditionellen Wohnwelt an. Auf Eicheldielen gebettet schafft das an die Scheune angeschlossene Wohnzimmer ein intimes und gemütliches Umfeld für die ruhigen Stunden des Tages und lädt mit tiefer Decke zum Entspannen und Ausruhen ein. Der noch fehlenden Kaminofen am neuen Treppenloch wird dieses gemütliche Wohngefühl in Zukunft noch einmal verstärken. Ansonsten sind im ehemaligen Leinreiterhaus die Bäder und Schlafzimmer der Familie organisiert, die wir am neu eingebrachten Treppenhaus orientiert haben. Aufgrund der Enge des Hauses genießen fast alle Zimmer eine zweiseitige, natürliche Belichtung und Belüftung, was ein ganz anders Wohngefühl vermittelt, wie es allgemein erlebbar ist. Das neben der Scheune gefangene Kinderzimmer wartet mit einer Galerie auf und erfährt so durch den Einbau von nicht einsehbaren Dachfenstern diese üppige Belichtung aus unterschiedlichen Richtungen. In diese Kinderzimmer mit seinen freigestellten Deckenbalken, einer Leiter zur Schlafgalerie würden wir alle gerne einziehen... der kleine, enge, eingeklemmte Raum mit maximaler Höhe vom Dielenboden im Obergeschoss bis unter den First ist eine tatsächliche Abenteuerkathedrale aus der man wohl auch als Erwachsener nicht gerne ausziehen würde. 
Ob wir nun tatsächlich alles nur denkmalgerecht weiterentwickelt haben, dass möchten wir nicht behaupten. Jedoch haben wir uns bemüht den historischen Bau mit samt seiner jüngsten Geschichte zu interpretieren. Wir haben alte Quellen erhalten und subtil umgestaltet und wer sich mit der Historie des Ensembles auseinandersetzt, der wird auf alte Spuren stoßen, die heute noch da sind und doch gar nicht mehr so wirken, als sollten Sie eine Geschichte erzählen. Das Haus kann viele Geschichte erzählen und es wäre ein spannender Nachmittag, um diese Sanierung nachzuvollziehen. Ein Haus und eine Scheune, einst ein Wohnhaus und ein Wirtschaftsgebäude, danach eine Wirtschaft und heute ein reiner Wohnbau, der den Spagat zwischen historischem Erscheinungsbild und modernem Lebensgefühl für eine junge Familie wagt und wie wir finden sehr gelungen präsentiert. Wir sind stolz die jungen Bauherren auf diesem Weg begleitet haben zu dürfen und möchten uns für das große Vertrauen, was ihr in unsere Arbeit gesteckt habt, sehr bedanken. Danke! Danke, dass wir euch auf dieser Reise begleiten durften!    

Die Reise ist tatsächlich noch nicht ganz zu Ende.....  
noch fehlt der Ausbau des dritten Kinderzimmers und tatsächlich fehlen auch noch zwei Treppen und die ein oder andere Handwerkerleistung und vielleicht auch noch der ein oder andere Euro zur Fertigstellung. Doch "fertig" was soll das heißen!? Ein Kulturdenkmal wie dieses, mit rund 400 Jahren Geschichte... die sollte nicht fertig werden, sondern in den Benutzern immer weiter leben. Ein "Fertig" würde Stillstand bedeutet, leblos wirken und danach nichts mehr bedeutet. Wohnen ist alles andere als etwas Statisches. Es ist kein fertiges IKEA-Einrichtungszimmer sondern ein Organismus, der sich anfühlt um Emotionen zu schaffen. Daher begrüßen wir es sehr, dass die Bauherrschaft bei 85% Fertigstellung des Projektes eingezogen ist und nicht alles final festgelegt hat... es gibt noch ein paar Entscheidungen zu treffen, die es bedürfen überlegt und angefühlt zu werden. Wie lebt sich das Haus, wie fühlt es sich im Alltag an... ich kann dazu nur jedem raten dieses Experiment zu wagen. Es macht nochmal Dreck und Staub, doch lohnt es sich sehr für den Prozess sich das Haus eigen zu machen.....  
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