MIETSWOHNHAUS THOMAS-MÜNZER-STRASSE, HANAU
Privater Investor
Das repräsentative Mietswohnhaus wurde 1894 von Friedrich Kennecke als frühes Projekt in Richtung des sich zu gleicher Zeit im Entstehen befindenden Kasernenviertels entwickelt. Entworfen wurde ein dreigeschossiger Baukörper mit flankierenden Risalitbauten. Während diese im Stil der deutschen Renaissance mit Stufengiebel und einem zusätzlichen Geschoss abgeschlossen wurden, ruht auf dem Hauptbaukörper ein steiles Satteldach mit 3 Zwillingsgauben. Das als Doppelhaus realisierte Gebäude wurde aussermittig mit einer Brandwand unterteilt. Die zur ehemaligen Wilhelmstraße orientierte Fassade aus ockerfarbenen Klinker ist in 6 Achsen untergliedert, die beiden Risalitbauten ergänzen diese um jeweils zwei weitere Achsen. Im Erdgeschoss zeigt sich die ehemalige Fahrt in den Hof, die zwei Fensterachsen für sich beanspruchte. Die Gestaltung der Fassade übernehmen neben den einheitlich gestalteten Fenstergewänden zahlreiche Gesimse und Eckquaderungen, die zur Seite hin in ihrer Anzahl und Gestaltung reduziert wurden und sich auf der Rückseite des hisotristischen Gebäudes gar nicht mehr finden lassen.
Das Gebäude wurde rund 15 Jahre nach seiner Entstehung an den Wurstfabrikanten Wilhelm Kaiser veräußert, der den Standort ab 1911 für sich weiterentwickelte. Neben dem Aufbau der Wurstfabrik in den dafür erstellten Nebengebäuden im Hof ließ Wilhelm Kaiser insgesamt drei Ladengeschäfte in die Erdgeschosszone des Haupthauses einbauen. Auch scheint der gesamte Ausbau des Hauses um die 20er Jahre an den Zeitgeschmack angepasst worden zu sein, denn es findet sich keine einzige historistische Tür mehr im Bestand, welches nicht in Zusammenhang mit den Wirren des Zweiten Weltkrieges zusammenhängt, wie wir durch originale Dokumente wissen.
Das Haus wurde in den Bombenangriffen der Alliierten im März 1945 getroffen, was zu dem Verlust des historischen Dachstuhls führte, wohl aber ansonsten die Bausubstanz wenig schädigte. Nach dem Krieg baute Wilhelm Kaiser das noch heute im vereinfachten Stil wieder auf, setzte dabei auch ein paar zusätzliche Ziegelsteine ein um für mehr Wohnraum zu sorgen und bemühte sich den Neuaufbau möglichst günstig wohl, jedoch wenig die Architektur schädigend auf den Bestand zu fügen. Die Schäden sind deutlich an den einfach verputzten Flächen zu erkennen, genauso wie das Nachkriegsdach mit den drei Gauben in einfachster Ausführung.
Zum Zeitpunkt der Übernahme des als Kulturdenkmal eingetragenen Hauses durch unsere Bauherrschaft befand sich ausschließlich eine der zahlreichen Wohnung noch in Nutzung. Städtebaulich liegt die Immobilie sicher nicht in attraktivster Lage; trotz der Nähe zu den durchaus attraktiven Kinzigauen und der Hanauer Innenstadt. So ist die Gegend um den Nordbahnhof eher bekannt für Erotik-Etablissements sowie Drogenmissbrauch und Spilotheken. Aus diesem Grund war es uns ein Anliegen wirtschaftlich und dennoch mit einer optimistischen Weitsicht an das Projekt einzusteigen. Aus den rund 130qm grossen Geschossen wurden mindestens zwei Einheiten gestaltet, die großzügige Wohnküchen beinhalten und neue Bäder erhielten; technisch wurden alle Einheiten voll auf Stand gebracht. Ansonsten sah unser Konzept maximalen Bestandserhalt vor, was zu einem oft von Bauherrn unterschätzten Ambiente in Altbauten führt. Die alten Holzfussböden wurden aufgearbeitet, geschliffen und geölt, die Türen allesamt neu gestrichen, genauso wie die Fensterlaibungen mit dem traditionellen Rollladenkästen. Das Treppenhaus wurde komplett aufgearbeitet und die Kunststofffenster gegen denkmalgerechte Holzfensterkonstruktionen getauscht.
Den einen oder anderen mag die Farbigkeit der Fenster durchaus irritieren, doch kommt diese nicht von ungefähr. Das Haus mit seiner kniffligen Lage am Nordbahnhof und an der viel befahrenen Unterführung ins Lamboyviertel sollte als Alternative zum Standard den Mietmarkt bereichern und durch die großzügigen Wohneinheiten mit offenem Raumkonzept eine kreative und offene Nutzerschaft akquirieren, die nicht das RAL 9010 und 7016 der Neubausiedlungen sucht. In Anlehnung an den 2004 in Leipzig gegründeten
Verein Haushalten e.V.
mit seinen überregional bekannten "Wächterhäusern" samt neu gestrichener Fenstern sollte ein neuer Wind am Standort entstehen und die neuen Fenster als Zeichen dafür sichtbar in der Nachbarschaft verstanden werden können.
Weiter darf gesagt sein, dass die Farbe blau nicht ganz beliebig, sondern sehr aufwendig mit dem Denkmalschutz diskutiert wurde. Die Grundlage für die Farbgebung findet sich im Hinterhof der Liegenschaft. Die Fassade der ebenfalls kulturdenkmalgeschützten Wurstküche wurde aufwendig mit blauen Fliesen gestaltet. Und so schaffte die Farbe den Sprung in die Hauptfassade und kontrastiert das Ockergelb der Klinker maximal und attraktiv. Das macht Blau natürlich nicht unausweichlich zur schönsten Farbe, doch wir haben uns viel Mühe gegeben, dem Ort seine Würde zurückzugeben und günstig verfügbaren Wohnraum mitten in der Stadt zu entwickeln, der flexibel genutzt werden kann und die Probleme des Standorts zu überspielen versucht um einer städtebaulich positiven Wende einen Baustein zur Verfügung zu stellen.